Mira bei RADIO 21: Klaus Wowereit
In dieser Woche hat Klaus Wowereit die Schlagzeilen dominiert. Dreizehneinhalb Jahre war er regierender Bürgermeister von Berlin, am Donnerstag hat er die politische Bühne verlassen und ist zurückgetreten. Warum eigentlich? Was hat ihn zu seinem Rücktritt gebracht? Hatte er einfach keine Lust mehr?
Ich gehe davon aus, dass sein Rücktritt aus seiner Persönlichkeitsstruktur heraus zu erklären ist: Die Themen sind in den letzten Jahren zusehends mühsamer geworden sind und vielleicht ahnt er, dass es ohne große Konflikte in Zukunft nicht mehr geht. Denen will er aus dem Weg gehen. Nehmen wir allein das Beispiel Berliner Flughafen… Ich denke, er hat – unbewusst? – lieber die Vogel-Strauss-Taktik gewählt, um halbwegs sauber aus der Sache rauszukommen. Eine Strategie, die zu seinem Persönlichkeitsmuster passt: Ich erkenne in seiner Persönlichkeit die Fixierung auf HARMONIE.
Der Champagner-Politiker
Ein Foto, das um die ganze Welt ging: Wowi trinkt Champagner aus einem roten Damen-Pumps. Spätestens seit diesem Tag hatte er sein Image als Spaßpolitiker weg. Er selbst sagt, er sei unachtsam und naiv gewesen. Der Name Wowereit kommt aus dem litauischen und bedeutet: „junges Eichhörnchen“ und ich finde, in der genannten Situation hat er sich wie ein solches verhalten. Wowi sagt, er habe der Frau, die ihm damals den Schuh hingehalten habe, ihren Wunsch nicht abschlagen können. Was also wirklich dahinter steckte, war sein extrem ausgeprägtes Harmoniebedürfnis und nicht die große Show! Menschen mit diesem Persönlichkeitsprofil haben Angst, die Bindung zu anderen Menschen zu verlieren. Aus diesem Grund sind sie ausgleichende, fröhliche, sanftmütige Menschen, mit denen man einfach gern zusammen ist. Ein Familienmitglied sagt über ihn: „Als Kind war Klaus dickköpfig, hilfsbereit und fernsehsüchtig.“ Eigenschaften, die dem Enneagramm-Muster 9 zugeschrieben werden.
Sprichwörtlich können diese Menschen keiner Fliege etwas zu leide tun, sie sind äußerst verlässlich und treu in ihren Beziehungen. Klaus Wowereit ist ein Familienmensch, er hat lange Jahre seinen querschnittsgelähmten Bruder betreut und seine an Krebs erkrankte Mutter gepflegt und ist aus diesem Grund auch erst 2005 (nach 12 Jahren Beziehung) mit seinem Lebensgefährten zusammengezogen. Bis heute pflegt er einen harmonischen Kontakt zu den Menschen, die ihm politisch den Weg bereitet haben.
Und so jemand kann Politiker werden?
Ja – und das finde ich auch gut so. Es dient dem Gemeinwohl, wenn „da oben“ nicht nur Menschen sitzen, die gern ihre Nase in Kameras halten und Politik nur aus Ego- oder Macht-Gründen betreiben. Nicht umsonst sagt Fernseh-Lady Sabine Christiansen über ihn: „Er ist eine ehrliche Haut und hat die Gabe, menschliche Wärme mit politischem Gehalt zu verbinden.“
Wowi hat seinen politischen Aufstieg nie geplant, er ist Stück für Stück in seine Aufgabe hineingewachsen und hat sich auch nie aufgedrängt. Vielmehr hat er eine solide, ruhige Arbeit gemacht und darauf vertraut, dass er seinen Platz in der Partei findet. Wie auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der ihm in seiner Persönlichkeitsstruktur übrigens sehr ähnlich ist. Wowis Laufbahn als Berufs-Politiker war weder ego-motiviert noch strategisch geplant.
Passiv-aggressiver Widerstand
Legendär ist sein Ausspruch: „Ich bin schwul und das ist auch gut so.“ Damit wollte er politischen Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen, die seine sexuelle Neigung gegen ihn verwenden wollten. Da wurde ja eine Menge reininterpretiert. Unter anderem die Frage, ob das Wort auch nicht die ganze Sache wieder einschränken würde. Wowereit selbst hat dazu gesagt, dass es für ihn nur ein Füllwort war. Für mich drückt sich in genau diesem kleinen Wort eine Charaktereigenschaft aus, die für sein Persönlichkeitsmuster typisch ist: der passiv-aggressive Widerstand. Sich wehren, ohne zu verletzen.
Sein mutiges Outing hat aber auch noch andere Gründe: Er wollte seinen Partner schützen. Es ging ihm – wie er in seiner Biografie schreibt – nicht um sich selbst, sondern um seine Beziehung. Seinen passiv-aggressiven Widerstand konnte man auch bei seiner letzten Rede im Abgeordnetenhaus erleben: „Man hat mir in dreizehneinhalb Jahren etwas ausgetrieben: das Wort Spaß. Ich habe es dann ersetzt durch das Wort Freude. Aber mir hat es Spaß gemacht!“ Auch hier schwingt ein gewisser Trotz mit.
Absturz auf der Beliebtheitsskala
Klaus Wowereit war lange Zeit in Berlin sehr beliebt – was hat ihn letztlich in der Gunst der Wähler/Berliner abstürzen lassen? In den ersten Jahren seiner Regierungszeit war Wowi mit seiner ruhigen, fröhlichen Persönlichkeit genau der Richtige für die Hauptstadt. Jemand, der die Sache entspannt und tolerant angeht. Ohne ihn wäre Berlin sicherlich nicht die bunte Metropole geworden, die sie heute ist. In den Momenten, in denen die Probleme auftauchten, hat Wowi jedoch keine Stärke mehr bewiesen und ist abgetaucht. Beispiel Tempelhof, S-Bahn-Chaos oder das Glatteis 2010, bei dem sich viele Berliner Knochenbrüche zugezogen haben, weil nicht gestreut wurde. Wowi hat dazu nur lapidar gesagt: „Wir sind hier in Berlin und nicht auf Haiti“ – viele haben das nach dem Erdbeben, das kurz zuvor die Insel zerstört hatte, als sehr unsensibel empfunden.
Dann die Flughafen-Geschichte obendrauf. Im Dezember 2012 wurde er vom Stadtmagazin TIP zum peinlichsten Berliner des Jahres gewählt und so begann der freie Fall. Irgendwann haben die Berliner gemerkt, dass er nicht da ist, wenn es darauf ankommt, dass er viele Dinge erst aussitzt und dann abtaucht wie ein Vogelstrauss. Und Wowi selbst? Der hat sich wohl gesagt: Ich gehe am besten dann, wenn es am schönsten ist.
Wie geht es weiter?
Wowereit wird seine gesamten politischen Ämter niederlegen. Menschen mit seiner Persönlichkeitsstruktur gehen ihre Freizeit genauso entspannt an wie ihre täglichen Aufgaben – und die wird nicht nur aus Golfspielen bestehen. Sicher wird er noch als Berater fungieren, u.a. für seinen Nachfolger Michael Müller, zu dem er ein enges Verhältnis hat. Der hat ihm übrigens zum Abschied gewünscht, dass er sich seinen Spaß behalten möge. Bei Klaus Wowereit mache ich mir da keine Sorgen!